Was für Instrumente bieten sich für die
Einschätzung der Störungen des Ganges und der Mobilität, der häufigsten
pflegerelevanten Einschränkung und somit des häufigsten Pflegeproblems bei den
hoch betagten Menschen?
In den Grundlagen der
MDK-Qualitätsprüfungen in der stationären Pflege wird darauf hingewiesen,
dass die Bewegungseinschränkung in den folgenden Segmenten geprüft wird: im
Bereich obere / untere Extremitäten, beim Sitzen, Aufstehen, Stehen, Gehen und
im Bett. Nehmen wir an, dass in jedem von diesen Segmenten mehrere Optionen zur
Auswahl stehen. (Klient kann beispielsweise alleine aufstehen, oder alleine mit
Wippen, oder alleine mit Hilfsmitteln, oder tagesformabhängig mit Hilfe einer
Pflegeperson, oder benötigt dabei ständig Hilfe.) In den sieben Segmenten
erhalten wir insgesamt 35 Optionen, die der Softwarehersteller in die Datenbank
und in den Programmcode einbauen und die Pflegekraft während der praktischen
Umsetzung berücksichtigen und auswählen muss. Wenn der Klient z.B. bei Arthrose
seine Arme nur bis zur Brusthöhe anheben kann, dann folgt daraus, dass er
möglicherweise Hilfe beim Waschen (Kopf und Oberkörper), beim Kämmen, bei Rasur,
bei Zahn/Mundhygiene und beim An-/Entkleiden benötigt. Diese Hilfe wird in der
Pflegeplanung beschrieben und deren konkrete Ausführung wird dann im Modul
Durchführung, je nach dem System, mit einem oder mit mehreren Klicks, einmal
oder mehrmals täglich, bestätigt.
Nun, wenn man ein aussagekräftiges
Assessment durchführen will, dann ist das mit 35 Optionen gar nicht getan. Was
ist mit der Erfassung von Paresen, Amputationen, Störungen der Feinmotorik, vom
Händedruck und Faustschluss? Kann der Klient alleine Brot schmieren und / oder
alleine essen? Kann er die Hand mit dem Glas alleine zum Mund führen? Ist er
rollstuhlpflichtig? Wenn ja, kann er den Rollstuhl teilweise selbständig
fortbewegen?
In Ermangelung standarisierter und
normierter Verfahren sind im Bereich Mobilität unserer Meinung nach zwei Wege
möglich:
1) man überlässt die Art und Weise wie
die Assessments durchgeführt werden der Kompetenz der Pflegekräfte. Eher knappe
oder ggf. ausführliche Beschreibungen können zu den o.g. sieben Segmenten in
freier Form getätigt werden.
2) man überlässt nichts dem Zufall und
der Willkür und versucht, jede konkrete Einschränkung der Beweglichkeit zu
erfassen. Bei einem Softwarehersteller haben wir im Bereich Mobilität cca.
250 Prüfungsoptionen gefunden! Dies ist nicht schwer fachlich zu rechtfertigen.
Da menschliche Bewegungen ein Zusammenspiel von Gelenken und Extremitäten sind,
können einfach alle Extremitäten und Gelenke, also Arme, Hände, Finger, Beine,
Füße, Zehen, etc. auf ihre Funktionalität geprüft werden. Beispiel
Fingergelenke: Strecken uneingeschränkt / eingeschränkt, Beugen uneingeschränkt
/ eingeschränkt, Faustschluss ja / Nein, Pinzettengriff ja/nein, kann
Gegenstände festhalten ja/nein, Kontraktur ja / nein. Ein umfangreicheres
Assessment-Verfahren bringt dem Anbieter von Software klare Vorteile: jede
zusätzliche Option, jeder zusätzlicher Klick, jedes zusätzliches Feld in
der Datenbank bedeutet für den Anbieter mehr Arbeit und für den Anwender mehr
Komplexität, mehr Lizenz- und Schulungskosten und vor allem mehr Zeit bei der
Arbeit mit dem System.
Die Einrichtungen verfügen leider selten
über die erforderliche kritische Haltung zu den implementierten Lösungen. Sie
machen ungern ihrem Softwarehaus den Vorwurf, dass ein neues Modul zu
umfangreich oder zuviel mit Details beladen ist, oder dass Pflegekräfte mit der
Erfassung zu viel Zeit verbringen. Die Einrichtungen verfahren lieber nach dem
Motto "Besser zu viel als zu wenig!" Manche glauben wahrscheinlich, dass es
wesentlich leichter ist, in einer knapp gehaltenen Pflegedokumentation Mängel zu
finden, als in einer, die aus allen Nähten platzt. So werden tatsächlich auch
MDK-Prüfer mit dem Datenmüll konfrontiert, ja sogar überschüttet.
Dabei geht es natürlich auch um die
Qualität der Software-Lösungen. Da diese aber normalerweise keiner öffentlichen
Diskussion und keiner unabhängigen kritischen Prüfung unterzogen werden, so ist
die qualitätsrelevante Kommunikation zwischen Herstellern und ihren Kunden
einseitig: Kunden liefern einzelne Bemerkungen und Verbesserungsvorschläge und
der Hersteller entscheidet eigenständig, ob diese implementiert werden dürfen.
Es gibt beispielsweise Versuche bei diversen Software-Herstellern, den sehr
wichtigen Expertenstandard Sturzprophylaxe umzusetzen und ein Assessment daraus
zu entwickeln. Dabei werden s.g. intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren
geprüft, im einzelnen wird geprüft, ob mobilitätsrelevante
Funktionsbeeinträchtigungen, Erkrankungen, die mit veränderter Mobilität,
Motorik und Sensibilität einhergehen, Beeinträchtigung von Kognition und
Stimmung beim Klienten vorliegen, ob die Medikamente, die er einnimmt
Gleichgewicht und Mobilität beeinflussen können, ob es Stolperfälle und andere
Gefahren in der Umgebung gibt.
Die Softwareanbieter versuchten also alle
Optionen, die im Expertenstandard erwähnt werden auch in Assessment zu
übernehmen. Dies macht aber keine intelligente Lösung aus und führt natürlich
zum enormen Zeitaufwand und zur Frustration.
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